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Kapitel 1:

Die untergehende Sonne tauchte die gesamte Costiera Amalfitana in ein dunkelrotes Licht. Einzelne Fischerboote zogen eine weiße Gischt in dem sonst sehr ruhigen Meer hinter sich her und wenn man von Osten an der Küste entlangblickte, konnte man aufgrund der klaren Sicht am Horizont die Faraglioni, die berühmten Felsspitzen vor der Insel Capri, erkennen. Der wahrscheinlich schönste Küstenabschnitt von ganz Italien, der von den Italienern selbst nicht umsonst Divina costiera, die göttliche Küste, genannt wird, kam langsam wieder zur Ruhe. Mehrere Tausend Tagestouristen, die in der bereits im Frühjahr beginnenden Urlaubssaison Tag für Tag hauptsächlich über Amalfi, Ravello und Positano herfielen, waren mit Schiffen, Bussen oder Mietwägen längst auf dem Rückweg zu ihren Urlaubsdomizilen entlang der Küste Kampaniens oder, falls es sich um Amerikaner oder Asiaten handelte, eher auf der Weiterreise nach Rom, Florenz oder Venedig.

Fabiano Corbara aus Amalfi hatte den Nachmittag im circa fünfundzwanzig Kilometer entfernten Salerno verbracht. Zuerst hatte er sein Auto zur jährlichen Inspektion gebracht. Um die Wartezeit sinnvoll zu nutzen, war er zu einem Schulfreund gegangen, der im Zentrum von Salerno als Goldschmied arbeitete, und hatte ein Collier bestellt, dass er seiner Verlobten Gabriella zur Hochzeit schenken wollte. Anschließend hatte er mehrere Läden aufgesucht, die seine Familie mit dem originalen, nur aus Zitronen aus Amalfi hergestellten Limoncello belieferte, um zu besprechen, inwieweit die wöchentlichen Liefermengen beibehalten oder verändert werden sollten. Gegen Abend musste er bei seiner Werkstatt mehr als eine Stunde warten, da sein Auto nicht zum vereinbarten Termin fertig gewesen war. Er hatte mit Gabriella telefoniert, um sie darüber zu informieren, dass er später als erwartet nach Amalfi zurückkommen würde und hatte ihr versprochen, sich während der Rückfahrt noch einmal zu melden. Als er sich endlich auf den Heimweg machen konnte, dämmerte es bereits.

Auf der Strada statale 18, die hinter der Stadtgrenze fast parallel zur Autobahn Richtung Neapel verläuft, verließ Corbara Salerno und bog dann oberhalb von Vietri sul Mare, dem östlichsten Ort der Costiera Amalfitana, auf die Strada statale 163, die berühmte, vierzig Kilometer lange Küstenstraße Amalfitana ab. Der starke Verkehr, der den ganzen Tag über herrschte, hatte schon merklich abgenommen, allerdings musste er in einer der ersten richtig engen Kurven zurücksetzen, weil ihm ein großer Reisebus entgegenkam, ansonsten kam er gut vorwärts. Nach einer lang gezogenen Rechtskurve kurz vor Maiori musste er allerdings scharf bremsen, weil auf der Straße ein rot-weißes Warndreieck aufgestellt war und fast unmittelbar dahinter ein weißer Lastwagen mit einer Reifenpanne halb in einer Parkbucht stand. Corbara fuhr langsam an dem Laster vorbei, hielt rechts an und stieg aus. „Kann ich Ihnen helfen?“, fragte er den etwa sechzigjährigen Lkw-Fahrer, der bereits einen großen Wagenheber hinter dem rechten Vorderreifen in Position gebracht hatte. „Das wäre sehr nett von Ihnen. Ich habe zwar ausreichend Werkzeug dabei, die Reifen sind aber verdammt schwer.“ „Kein Problem, das kriegen wir schon hin.“ „Ich kann mir den Plattfuß gar nicht erklären. Der rechte Vorderreifen hat schlagartig Luft verloren, ohne dass ich irgendwo angefahren bin.“ „Den Grund werden wir sicher gleich sehen, wenn wir den Reifen abmontiert haben“, antwortete ihm Corbara und stieg sofort auf den Laster hinauf, da das Reserverad zwischen der Fahrerkabine und der Ladefläche befestigt war. Er ließ sich von dem Lkw-Fahrer den Schraubenschlüssel nach oben geben, löste die Befestigungsschrauben, zog den schweren Ersatzreifen aus der Halterung und reichte ihn dem Lkw-Fahrer, der ihn vor sich nach unten fallen ließ und dann den wieder hochspringenden Reifen mit einem kräftigen Griff unter Kontrolle brachte. Bevor er wieder nach unten kletterte, warf Corbara eher zufällig einen Blick auf die Ladefläche des Lasters, auf der ungefähr fünfundzwanzig bis dreißig volle Jutesäcke standen. An der Ecke, an der Corbara stand, war ein Sack nicht richtig zugebunden und gab so den Blick auf den Inhalt, auf relativ kleine, fleckige und deshalb ziemlich unansehnliche Zitronen frei. „Eigenartig“, wunderte er sich. „Wer lässt sich denn entlang der Amalfitana solche schrecklichen Früchte liefern, während wir hier täglich mehr als genug der herrlichsten Zitronen ernten?“ Wenn sich eine Gelegenheit ergeben sollte, wollte er den Lkw-Fahrer danach fragen. Nachdem er wieder hinuntergeklettert war, sah er den Aufkleber auf der Beifahrertür, der auf einen Obst- und Gemüse-Großhändler aus Salerno als Besitzer hinwies.

Eine Viertelstunde später hatten sie den Ersatzreifen montiert. Der kaputte Reifen war an der Innenseite durch ein großes Metallteil, das offenbar von einer Baumaschine stammte, regelrecht aufgeschlitzt worden. Der Lkw-Fahrer schlug vor, den defekten Reifen nicht hinter dem Fahrerhaus zu montieren. „Der ist ohnehin nicht mehr zu reparieren, ich denke es reicht, wenn wir ihn hinten drauflegen.“ Gemeinsam hievten sie ihn nach oben und während ihn der Fahrer festhielt, kletterte Corbara wieder zwischen der Fahrerkabine und der Ladefläche nach oben, konnte von dort aus den Reifen über die Rückwand der Ladefläche heben und ihn dann langsam nach unten fallen lassen. Als er wieder hinunterklettern wollte, sah er durch das hintere Fenster der Fahrerkabine, dass auf dem Beifahrersitz ein Klemmbrett lag, auf dem offenbar der Lieferschein befestigt war. Während sie den Reifen gewechselt hatten, war ihm die ganze Zeit durch den Kopf gegangen, für wen diese Lieferung wohl bestimmt war. Um das zu erfahren, wollte er den Fahrer nun doch direkt ansprechen, dieser machte aber vorher eine Bemerkung, die für Corbara unerwartet eine ganz andere Möglichkeit eröffnete. „Bevor ich weiterfahre, muss ich mir erst einmal die Hände waschen, außerdem müsste ich dringend zur Toilette.“ „Hände waschen ist eine gute Idee, bestimmt können wir das in dem Hotel dort hinten machen.“ Ungefähr fünfzig Meter hinter dem Laster lag direkt in der langgezogenen Kurve ein fünfstöckiges Hotel. Corbara wollte nach dem Händewaschen sofort zurückgehen und dann, ohne dass der Fahrer etwas davon merken würde, einen Blick auf den Lieferschein werfen. Im Hotel wurde ihnen gerne der Weg zur Toilette gezeigt, dort wuschen sie sich erst einmal den Schmutz der Reifen von den Händen. „Vielen Dank für Ihre Hilfe. Was bin ich Ihnen nun schuldig?“, fragte der Lkw-Fahrer. „Ach, überhaupt nichts. Ich habe Ihnen doch gerne geholfen. Wenn mir so etwas passieren würde, wäre ich auch froh, wenn jemand anhalten würde. Wenn Sie einmal in Amalfi sein sollten, würde ich mich freuen, wenn wir Sie einmal als Gast begrüßen dürften. Ich heiße Fabiano Corbara, meiner Familie gehört das Hotel Ulisse mit dem Ristorante Ulisse, das aber nicht nur unseren Hotelgästen zur Verfügung steht.“ „Das können wir gerne einmal machen. Lino Oscata aus Salerno“, stellte sich nun der Lkw-Fahrer auch vor und gab Corbara die Hand. „Ich bin sehr oft mit dem Laster auf der Amalfitana unterwegs, doch leider bleibt da keine Zeit, um sich irgendwo gemütlich zum Essen hinzusetzen. Mit meiner Frau wollte ich aber schon länger wieder mal am Wochenende an der Küste entlangfahren, bei der Gelegenheit werden wir gerne einmal in Amalfi vorbeischauen. Nochmals herzlichen Dank für Ihre Hilfe, Signor Corbara.“ Wieder schüttelte er ihm die Hand und deutete dann in Richtung der WC-Kabinen. „Nun muss ich aber dringend da rein.“ „Und ich werde mich auf den Heimweg nach Amalfi machen. Arrivederci.“ „Arrivederci Signor Corbara. Grazie mille.“  

Corbara wartete, bis der Lkw-Fahrer die Tür des WCs hinter sich geschlossen und den Riegel vorgeschoben hatte, dann marschierte er schleunigst durch die Hotel-Lobby auf die Straße hinaus und kehrte im Laufschritt zum Lkw zurück. Bevor er die Beifahrertür öffnete, schaute er sich um, aber der Fahrer war wie erwartet noch nicht zu sehen. Er zog die Tür auf und griff nach dem Klemmbrett. Tatsächlich war dort der Lieferschein befestigt. Als er den Namen des Bestellers las, wäre ihm das Klemmbrett beinahe aus der Hand gefallen. „Rodrigo Frigento – das gibt es doch nicht!“ Die Familie Frigento war neben der Familie Corbara, die in Amalfi nicht nur das Hotel betrieb, einer der größten Zitronenanbauer am Ort. Fabianos Vater kümmerte sich vorwiegend um die Pflege der Zitronenplantagen und um die Ernte, während sein einziger Sohn Fabiano neben seiner Funktion als Hotel-Manager für die Limoncello-Produktion verantwortlich war. „Warum zum Teufel lässt sich Rodrigo so ein Zeug liefern?“ Die Zitronenbauern an der Amalfi-Küste hatten alle Nachwuchsprobleme, weil die jüngere Generation vielfach die anstrengende und zeitintensive Tätigkeit im Freien nicht auf sich nehmen wollte und zudem die Verdienstmöglichkeiten nicht allzu berauschend waren. Rodrigo Frigento hatte als einer der wenigen jüngeren Zitronenbauern den Betrieb schon vor einigen Jahren vollständig von seinem Vater übernommen, da dieser aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage war, sich tagtäglich um die Zitronen zu kümmern. „Das scheint auch nicht die erste Fuhre zu sein, wenn ich den Lieferschein hier richtig interpretiere“, sagte er zu sich selbst, legte dann schnell das Klemmbrett zurück und schloss die Beifahrertür wieder, damit er von Signor Oscata nicht doch noch erwischt würde. Er stieg in seinen silbernen Fiat Punto und fuhr die wenigen hundert Meter bis nach Maiori hinein. Maiori ist der einzige Ort an der Costiera Amalfitana, der nicht in einer nur relativ kleinen Bucht liegt, sondern der mit einem schönen langen Strand aufwarten kann. Die Amalfitana verläuft hier entlang der Strandpromenade für ungefähr siebenhundert Meter direkt auf Meereshöhe, während sie sich sonst in einer Höhe von bis zu einhundert Metern über dem Meer entlang schlängelt. Corbara fuhr langsam an der Strandpromenade entlang, ließ einen Urlauber am rechten Straßenrand ausparken und schnappte sich sofort die frei gewordene Parklücke. Er lehnte sich auf seinem Sitz zurück und stellte den linken Außenspiegel so ein, dass er die Straße gut überblicken konnte. Es dauerte keine fünf Minuten, dann näherte sich von hinten der weiße Laster mit Lino Oscata am Steuer. Corbara ließ ihn vorbeifahren, wartete, bis ihn die drei direkt hinter dem Laster fahrenden Autos auch passiert hatten und reihte sich dahinter ein. Ein Stück hinter Maiori rief er wie versprochen Gabriella an, damit sie wusste, dass er in Kürze nach Hause kommen würde. „Deine Mama hat gefragt, ob wir zum Abendessen rüberkommen wollen.“ Während Fabiano Corbara als Hotel-Manager fungierte, kümmerten sich seine Mutter und seine Schwester um die Hotelküche und das Ristorante. Besonders wenn im Ristorante relativ wenig los war, gingen Fabiano und Gabriella, die vier Häuser weiter vom Hotel wohnten, gerne abends hinüber, um sich von seiner Mutter bekochen zu lassen. „Heute gibt’s frischen Schwertfisch.“ „Sehr gut. Ich hoffe, dass ich in zwanzig Minuten da bin, dann können wir gleich zum Essen rübergehen. A presto, Tesoro.“ „Ciao Fabiano.“  

Überholen war auf der Amalfitana nahezu unmöglich und weil auch keines der drei Autos vorher anhielt oder abbog, blieben sie fast bis Amalfi zwischen dem Lkw und dem silbernen Punto. Erst kurz bevor Corbara sein Ziel erreicht hatte, bog das direkt vor ihm fahrende Auto nach rechts in Richtung Ravello und Scala ab. In Amalfi fuhr Oscata, wie Corbara erwartet hatte, sofort auf die Piazza Municipio, die für Autos eine Sackgasse war. Allerdings begann an deren Ende die Salita Sopra Muro, eine schmale Gasse, die direkt zum Anwesen der Familie Frigento führte. Die meisten Waren oder Baumaterialien wurden an dem gesamten Küstenstreifen in den schmalen Gassen oder auf den langen Treppen vorwiegend von Maultieren oder Mauleseln befördert, weil ein Transport mit Autos oder Maschinen meist unmöglich war. Fabiano Corbara, der am rechten Straßenrand stehengeblieben war, hatte genug gesehen, er war sich sicher, dass die Lastwagenladung von der Piazza Municipio nun direkt zu Frigento befördert wurde. Er setzte den Blinker und fuhr die wenigen Meter bis zum Zentrum von Amalfi, wo nach rechts die Via Duca Mansone I. abzweigte und zu dem berühmten Dom führte, und wo sich links die Piazza Flavio Gioia mit dem Gioia-Denkmal sowie dem zentralen Busparkplatz von Amalfi befand. Dort bog er nach links ab in die Via Lungomare dei Cavalieri, die am Hafen entlang bis zu einem großen Pkw-Parkplatz für die Touristen führte. Dort lag nach etwa zweihundert Metern auf der rechten Seite das Hotel Ulisse mit dem dazugehörigen Ristorante. Corbara fuhr noch fünfzig Meter weiter zu dem Haus, in dem seine Wohnung lag. Zum Glück hatte er dort hinter dem Haus immer seinen reservierten Parkplatz, denn der Lungomare war regelmäßig völlig zugeparkt. Gabriella hatte in der gemeinsamen Wohnung auf ihn gewartet. Als er dort ankam, gingen sie sofort gemeinsam ins Ulisse hinüber, wo Fabianos Vater Valerio bereits beim Abendessen saß. Während sich Gabriella gleich zu ihrem zukünftigen Schwiegervater setzte, ging Fabiano in die Küche um Bescheid zu sagen, dass er und Gabriella nun auch da waren. „Als Secondo nehmen wir beide den Schwertfisch. Was hättet ihr denn heute als Primo?“ Seine Schwester Olivia zählte ihm die Gerichte für den ersten Gang auf. „Wenn du willst, kann ich dir aber auch deine Lieblings-Pasta, Spaghetti al limone, machen, Fabiano.“ „Danke, aber du brauchst nicht separat etwas kochen, wenn sonst schon genug da ist. Ich nehme die Spaghetti al ragú. Gabriella will nur den Fisch, sie nimmt dann zum Pesce spada wie ich einen Salat.“ Nachdem er auch noch mit seiner Mutter ein paar Worte gewechselt hatte, setzte er sich zu Gabriella und seinem Vater und goss sich aus der bereitstehenden Flasche ein Glas Weißwein ein. „Wie ist es heute gelaufen, Papa?“ „Gut, wir haben am Nachmittag genug geerntet, sodass du morgen Vormittag gleich den nächsten Limoncello ansetzen kannst. Die Trockenheit wird allerdings immer mehr zu einem Problem. Der Boden ist so hart, dass er das Wasser aus den Bewässerungsdüsen kaum mehr aufnimmt.“ An der Costiera Amalfitana hatte es wie in weiten Teilen Italiens seit Februar nicht mehr geregnet und für Ende April war es schon ungewöhnlich warm. „Und da soll nochmal jemand behaupten, es gäbe keinen Klimawandel“, warf Gabriella ein. „Von Jahr zu Jahr wird es wärmer, inzwischen werden bei uns sogar schon Insektenarten heimisch, die bis vor wenigen Jahren nur in tropischen Ländern vorkamen. Was für eine Welt wollen wir unseren Kindern hinterlassen?“ „Unseren Kindern?“, fragte Valerio erstaunt. „Bist du schwanger, Gabriella?“ „Nein, nein, so war das nicht gemeint“, lachte sie. „Mit eigenen Kindern lassen wir uns schon noch Zeit bis nach unserer Hochzeit“, ergänzte Fabiano. „Wer ist schwanger?“, wollte Olivia sofort wissen, die aus der Küche kommend nur diesen einen Satz aufgeschnappt hatte. Sie stellte Fabiano seine Spaghetti al ragú auf den Tisch. „Danke, Olivia.“ „Niemand ist schwanger. Fabiano hat gemeint, dass wir mit dem Kinderkriegen bis nach unserer Hochzeit warten wollen“, erklärte Gabriella ihrer zukünftigen Schwägerin. „Dann ist es ja bald soweit, dass ihr mich zur Tante macht“, lachte Olivia laut los. „Ende Juni ist die Hochzeit, neun Monate dazuzählen, dann dürfen wir also Ende März damit rechnen“, grinste sie, drehte sich um und verschwand wieder in der Küche. Gabriella ging auf Olivias Bemerkung nicht mehr ein, sondern unterhielt sich mit Valerio über die bevorstehende Hochzeit, während Fabiano seine Spaghetti aß. Dabei ging ihm wieder die Zitronenlieferung an Rodrigo Frigento durch den Kopf. Wenn sich in Amalfi jemand, der selbst Zitronen anbaute, säckeweise Früchte minderer Qualität liefern ließ, konnte das doch nur bedeuten, dass er bei der Verarbeitung seiner eigenen Zitronen die gekauften dazu nutzte, um seine Produkte damit zu strecken, um Kosten einzusparen und um damit den eigenen Profit zu erhöhen. „Rodrigo, Rodrigo, dir werde ich in der nächsten Zeit einmal etwas genauer auf die Finger schauen müssen“, dachte er sich und überlegte, ob er seinem Vater erzählen sollte, was er durch Zufall herausgefunden hatte, wollte es dann aber doch erst einmal für sich behalten.  

Seine Schwester musste ihn von der Küche aus beobachtet haben, denn kaum hatte er sich die letzte Gabel Spaghetti in den Mund geschoben, servierte sie ihm und Gabriella den Pesce spada mit einem gemischten Salat. Seine Mutter würzte die Schwerfisch-Scheiben immer mit frischen Minz-Blättern, etwas Knoblauch, Olivenöl und einem Schuss Balsamico und ließ diese dann für ungefähr eine halbe Stunde im Ofen schmoren. Da alle Hotelgäste ihr Hauptgericht inzwischen auch schon serviert bekommen hatten, kam Signora Corbara aus der Küche heraus und setzte sich zu ihrer Familie an den Tisch. „Schmeckt’s euch?“ „Danke, Mama, dein Schwertfisch ist wieder mal ein Gedicht.“ Gabriella, die den Mund gerade voll hatte, nickte zustimmend. Nach dem Essen brachen Fabiano und Gabriella relativ bald auf, nachdem Fabiano mit seinen Eltern noch kurz besprochen hatte, was am nächsten Tag im Hotel und bei der Verarbeitung der Zitronen alles anstand. Gabriella wollte noch nicht gleich nach Hause gehen, sie hakte sich bei Fabiano unter und schlug vor, noch einen kleinen Spaziergang zu machen. Sie gingen den Lungomare entlang bis zur Piazza Flavio Gioia und dann auf der Mole, die im rechten Winkel ins Meer hineinragte, noch ein Stück hinaus. „Du bist heute so still, Fabiano. Was beschäftigt dich?“ Fabiano fühlte sich ertappt, weil ihm die ganze Zeit die Zitronenlieferung an Frigento durch den Kopf ging. Aber auch Gabriella wollte er nicht erzählen, was auf der Rückfahrt von Salerno passiert war. „Ich bin heute nur ein bisschen müde. Deswegen werde ich auch gleich ins Bett gehen, wenn wir zuhause sind.“ Sie drehten um und blickten auf ihre beleuchtete Heimatstadt, während vom Campanile von Sant’Andrea zehn Glockenschläge zu hören waren. Im Dom, der Cattedrale di Sant‘Andrea, dem Wahrzeichen von Amalfi, sollte am vierundzwanzigsten Juni, am Festtag San Giovanni Battista, die Hochzeit der beiden stattfinden. Während sich Gabriella in Gedanken schon in ihrem langen, weißen Kleid die mehr als fünfzig Stufen lange Treppe zum Dom hinaufgehen sah, hatte Fabiano etwas ganz anderes im Kopf. Immer mehr trieb ihn der Gedanke um, dass bei Rodrigo Frigento irgendein groß angelegter Betrug im Gange war, der letztlich auch ihn und seine Familie betraf, denn wenn die Produkte auf der Basis der Amalfi-Zitrone erst einmal den Ruf schlechter Qualität hatten, fiel das auf alle Zitronenbauern am Ort zurück. „Hast du Panik wegen dem vierundzwanzigsten Juni?“, fragte Gabriella plötzlich. „Nein, wie kommst du denn auf so etwas, Tesoro? Ich bekomme bestimmt keine kalten Füße wegen unserer Hochzeit, weil ich mir absolut sicher bin, dass mir gar nichts Besseres passieren kann, als dich zu heiraten.“ Das war für Gabriella Erklärung genug. Sie umarmte Fabiano und drückte ihm einen langen Kuss auf den Mund. „Ich bin mir auch hundertprozentig sicher, dass es die richtige Entscheidung ist.“ Arm in Arm schlenderten sie zum Lungomare und auf diesem dann nach Hause zurück.  

Zwanzig Minuten später lagen sie in ihren Betten. Während Gabriella relativ schnell eingeschlafen war, wälzte sich Fabiano noch fast eine Stunde hin und her, weil ihn der Gedanke an die dubiose Zitronenlieferung an Rodrigo Frigento nicht losließ. Erst als er für sich beschlossen hatte, Rodrigo gleich am nächsten Tag einen Besuch abzustatten, um ihn in flagranti bei der Verarbeitung der gelieferten Zitronen zu erwischen, kam er etwas zur Ruhe und war dann innerhalb weniger Minuten auch endlich eingeschlafen.